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Ein großes apartes Loch.

Apart

Sicher kennen Sie das Wort „apart“. Das bedeutet, dass etwas aufgrund einer Eigenart oder eines besonderen Reizes auffällt.

Sie werden vielleicht deshalb meinen etwas erstaunten Blick verstehen, als ich gestern im Stadtarchiv St. Wendel in einer Akte über die alten Friedhöfe St. Wendels auf dieses Wort stieß [A214, Seite 18]. Da war jemand damit beauftragt worden, ein apartes großes Loch zu buddeln. Okay (mit sehr langem „y“) dachte ich und mußte unversehens lachen. Der Mitarbeiter im Stadtarchiv, der im Nebenraum seinem Tagwerk nachging, reagierte nicht, was okay war, denn vermutlich wußte er, daß ich ab und an dazu neige, aus welchen Gründen auch immer vor mich hin zu murmeln oder auch mal zu lachen. Aber als ich dann weiterlas, blieb mir das Lachen im Halse stecken.

In St. Wendel gab es ursprünglich um die katholische Pfarrkirche einen großen Friedhof, der in den 1770ern seinen Nachfolger unterhalb des heutigen Saalbaus fand, eingeweiht 1779. Der alte Friedhof wurde 10 Jahre später entfernt, komplett abgeräumt und gepflastert und damit der Marktplatz erweitert.

In dem Abraum befanden sich nicht nur Erde und Steine, sondern auch … ich sag mal … die früheren Bewohner. Nun ja, auch die letzte Ruhestätte ist … pffff … eine Ruhestätte. Nur blieb für die um die Kirche Ruhenden diese Ruhestätte nicht ihre letzte Ruhestätte, jedenfalls nicht für die, die noch physisch dort anwesend waren.

„auff dem Newen Kirchhof ein àpartes großes Loch zu dem Ende fertigen lassen müssen, womit die mit denen Wagen gebrachte Bretter von denen Todenladen, und sonstige Gebein dazu begraben werden mögen, wodurch deme Johann Schwendler accordiret ein Loch 92 schuhe tief, 9. schuhe breit, und 14. schuhe lang zu machen, fort die befindtliche Todenladen nach gefertigtem Loch zu Versencken und die gebein mit denen Brettern darin zu werffen, demnecht abereins zu zu scharren, wofür denselb zu empfangen hat“

Vielleicht geht’s so etwas besser:
„auf dem Neuen Kirchhof ein abseits gelegenes großes Loch zu graben, worin die mit den Fuhrwerken [vom alten Kirchhof] herangebrachten Bretter der Särge und etwaige Knochen begraben werden sollten. Dazu wurde mit dem Johann Schwendler ein Vertrag geschlossen, er solle ein Loch von [Moment, 92 Schuhe, bei uns galt das Nürnberger Maß, die Ruthe zu 16 Schuh. Den Schuh kann man nachmessen u.a. in der Akte D1 im Pfarrarchiv St. Wendel, danach war solch ein Schuh 30,34 cm lang, also hatte das Loch eine Tiefe von] 27,91 Meter Tiefe, 2,73 m Breite und 4,25 m Länge [Jerres, was ist denn das für ein Loch? Liest sich wie der blöde Witz mit dem 27 Kubikmeter Schwimmbad – 1 m breit, 1 m lang und 27 m tief. Moment, ach nein, ach, ist das blöd. Da steht „9.“, nicht „92“, aber über dem Punkt hinter der 9 ist ein halbrunder Fleck, da sah beim Lesen aus wie ne „2“. In den alten Dokumenten haben die Zahlen hinten dran fast immer einen Punkt, oft auch davor, damit nichts hinzugefügt werden kann. Also ist das Loch 2,73 tief, genauso breit und 4,25 m lang.] Dann soll er die gefundenen Särge in dem Loch versenken und die Knochen und restlichen Bretter dazuwerfen und das Loch wieder zu werfen. Dafür erhielt er 3 Gulden.“

Ist nicht wenig Geld, aber da muß man schon hartgesotten sein, um so ne Arbeit überhaupt zu machen. Mich schüttelt es schon, wenn ich darüber schreibe.

Roland Geiger

[mehr u.a. zum St. Wendeler Friedhof siehe „Dr. Helmut Priewer / Roland Geiger. Pocken, Masern und die Spanische Grippe. Seuchen in St. Wendel 1793 – 1919“, Saarbrücken, 2022]